16.08.2009
Ein Betriebs-/Personalrat hat keine/-n Chef/-in – Basta!
In den Medien werden häufig die Begriffe „Betriebsrats- oder Personalratschef/-in" benutzt. Dabei gibt es gar keine/n Chef/-in einer Interessenvertretung, sondern nur Sprecher/-innen, die das Gremium nach außen vertreten.
Mit dem Begriff werden demokratische Strukturen betriebl. Mitbestimmung verschleiert und Hierarchiedenken befördert. Zeit für einen Offenen Brief an die deutschen Medien!
Die Krise braucht ihre Köpfe – Der „Betriebsratschef“ als Krisenmanager
Seitdem die Wirtschaftkrise die Schlagzeilen beherrscht, stehen auch Interessenvertretungen immer häufiger im Rampenlicht. Sie sind es, die momentan mit den Folgen der Krise – sprich Firmenpleiten, Kurzarbeit, Stellenabbau usw. – zu kämpfen haben, Sozialpläne ausarbeiten und sich (mehr noch als sonst) in Betrieb oder Dienststelle aufreiben.
Oft wird dabei von den Medien das Bild erzeugt, dass die Entscheidungsgewalt von Interessenvertretungen in den Händen einzelner Person liegen würde, nämlich in den Händen des/der „Betriebsrats- oder Personalratschef/-in“. Sinnbild für diese von den Medien attestierte Machtkompetenz ist wohl Klaus Franz, seines Zeichens Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Adam Opel GmbH, der als angeblicher „Betriebsratschef“ mittlerweile zum „Gesicht" und scheinbar alleinigen Krisenmanager von Opel geworden ist. Dabei werden Vorsitzende in eine Rolle „geschrieben", die ihnen nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) nicht zusteht und die sie deshalb nicht einnehmen können (für Beispiele siehe unten stehende Links). Sie sind Vorsitzende eines demokratisch gewählten Gremiums und vertreten das Gremium im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Nach innen haben sie vorrangig organisatorische Aufgaben wahrzunehmen.
Mehr Chef/-in, weniger Wirtschaftsdemokratie
Es ist nicht verwunderlich, dass den Vorsitzenden von Betriebs- und Personalräten in der öffentlichen Wahrnehmung eine hervorgehobene Stellung zukommt, schließlich sind sie laut BetrVG § 26 bzw. Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) § 32 beauftragt das Gremium im Rahmen gefasster Beschlüsse nach außen zu vertreten. Das bedeutet aber nicht mehr, als dass sie als öffentliches Sprachrohr eines Gremiums fungieren, das nach demokratischen Prinzipien Entscheidungen trifft. Denn, ähnlich dem Deutschen Bundestag, sind die Gremien der Interessenvertretung, Ausdruck einer verfassungsrechtlich garantierten demokratischen Grundordnung, die sich eben nicht auf eine Regierung beschränkt sondern auf ein Parlament. Entsprechend besitzt ein/-e Betriebsratsvorsitzende/r auch keine Richtlinienkompetenz, wie sie etwa der/die Bundeskanzler/-in innehat. Interessenvertreter/-innen unterliegen, ebenso wie Abgeordnete, lediglich ihrem Gewissen, besitzen also ein eigenes Entscheidungsrecht. Im Unterschied zu Parlamentarier/-innen, sind sie - zumindest im Idealfall - aber keiner Franktionsdisziplin unterworfen.
Der/die Chef/-in und die Disziplin
Vorsitzende eines Betriebs- oder Personalrats als Chef/-in zu bezeichnen ist somit schlichtweg falsch. Vielmehr spiegeln sich in der Vokabel hierarchische Strukturen und Machtgefälle wider. Demokratische Zusammenhänge werden mit dem Gebrauch des Begriffs tendenziell ausgeblendet. Auch wenn nicht verschwiegen werden sollte, dass sich so manche/-r Vorsitzende auffallend gerne in der Rolle des Chefs gebärdet, darf es nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie rechtlich gesehen nur die Rolle eines/-r Sprecher/-in bekleiden – nicht mehr und auch nicht weniger.
Arbeitgeber jedenfalls begrüßen eine/-n solch vermeintliche/-n Chef/-in, steigen bei entsprechender „Motivation“ doch die Möglichkeiten, dass er/sie in der „eigenen Abteilung“ für Ordnung sorgt. Dementsprechend ist der Begriff nicht bloßer Ausdruck einer Entwicklung in Richtung Co-Management, sonder verstärkt diese ggf. noch.
Über den Tellerrand geschaut
Auch andere Industrieländer kennen betriebliche Interessenvertretungen. Zwar sind diese dort aber anders aufgebaut und sehr viel enger gewerkschaftlich angebunden, aber auch dort gibt es keine Chefs. In Frankreich heißen sie etwa sécretaire de comité oder in Großbritannien chairman/-woman of the works council oder auch shop chairman/-woman und eben nicht directeure oder chief.
Letztlich ist es unerheblich, ob es dem Wunsch der Medien Geschichten personalisieren zu wollen geschuldet ist oder einfachem Unwissen oder mangelnder Recherche, dass sich die Begriffe „Betriebratschef/-in“ und „Personalratschef/-in“ in der deutschen Medienlandschaft mittlerweile durchgesetzt haben.
Fakt ist, die Begriffe suggerieren Hierarchie, wo sie nicht hingehört und leisten außerdem noch Machtansprüchen in Gremien Vorschub, deren Aufgabe im genauen Gegenteil besteht: Der Demokratisierung der Wirtschaft.
Ein zukünftig sensiblerer Umgang und eine korrekte Darstellung seitens der deutschen Medien sind daher nicht bloß wünschenswert, sondern dringend notwendig.
Das wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein.
Artikel: Frankfurter Rundschau vom 22.01.2009
Artikel: Tageszeitung vom 10.08.2009
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