26.07.2011
Der EGMR schützt die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer.
Kündigung wegen Offenlegung von Missständen im Unternehmen („Whistleblowing“) ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) unwirksam. Wer Missstände im Unternehmen publik macht, darf nicht deswegen entlassen werden.
Eine Altenpflegerin, angestellt bei einer Klinik, die dem Land Berlin gehört, hat ihren Arbeitgeber mehrfach darauf hingewiesen, dass das Personal in der Klinik erheblich unterbesetzt ist und dieser Personalmangel zur unzureichenden Betreuung der Bewohner des Pflegeheims und zu Missständen im Unternehmen führt. Nachdem der Arbeitgeber auf ihre Beschwerden nicht reagiert hatte und untätig geblieben ist, hat sie gegen Ende 2004 Strafanzeige gegen den Klinikbetreiber wegen Betruges mit der Begründung erstattet, die in der Werbung versprochene hochwertige Pflege werde nicht erbracht. Es habe keine angemessene Gegenleistung für die getragenen Kosten gegeben.
Im Februar 2005 erfuhr der Klinikbetreiber von den Anschuldigungen und nahm dies zum Anlass, das Arbeitsverhältnis wegen Verletzung der Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber fristlos zu kündigen.
Die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin ist vor sämtlichen Instanzen der deutschen Gerichtsbarkeit - zuletzt vor dem BAG und BVerfG - ohne Erfolg geblieben, da die Gerichte die Kündigung wegen erheblicher Verletzung der Loyalitätspflicht als gerechtfertigt erachtet haben (wie es bis dato ständige Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit war). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat jedoch mit seinem Urteil vom 21. Juli 2011 entschieden, dass eine Kündigung wegen Veröffentlichung von Missständen bei ihrem Arbeitgeber unwirksam ist. Zur Begründung führt es aus, dass die von der Altenpflegerin erstattete Strafanzeige als Offenlegung von Missständen in Unternehmen oder Institutionen durch einen Arbeitnehmer zu bewerten ist, welche in den Geltungsbereich von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fällt. In der fristlosen Kündigung sei eine Verletzung der Meinungsfreiheit i.S.d. Art. 10 EMRK zu sehen. Die von der Beschwerdeführerin offengelegten Informationen über die mutmaßlichen Mängel in der Pflege waren zweifellos von öffentlichem Interesse, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die betroffenen Patienten möglicherweise nicht selbst in der Lage waren, auf die Missstände aufmerksam zu machen. Die Vorwürfe und die Strafanzeige gegenüber dem Arbeitgeber hat zwar unter Umständen rufschädigende Wirkung, “in einer demokratischen Gesellschaft müsse jedoch das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen so wichtig” genommen werden, dass es das Unternehmensinteresse überwiege, so der EGMR. Der EGMR sprach deshalb der Altenpflegerin eine Entschädigung von 15.000 Euro zu, was die BRD zu zahlen hat.
Der EGMR schützt mit seinem Urteil die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer und gibt eine Rückendeckung für kritische Arbeitnehmer. Die Linksfraktion des Deutschen Bundestags hat mit ihrem Antrag vom 06.07.2011 (BT-Drucks. 17/6492) gefordert, dass die Bundesregierung bis Ende 2011 einen Gesetzesentwurf zum Schutz und zur Förderung der Tätigkeit von Hinweisgebern vorlegen soll. Im Gesetz soll "Whistleblowing" als gutgläubige Weitergabe von Informationen definiert werden, insbesondere über widerrechtliche Handlungen, Fehlverhalten oder allgemeine Gefahren, die eine Bedrohung für Gesundheit, Leben, Freiheit, Umwelt oder andere berechtigte Interessen des Einzelnen oder Gesellschaft darstellen. Ferner soll die Identität von Hinweisgebern geschützt und vertraulich behandelt werden.
Wie sich der Betriebsrat/Personalrat unter solchen Umständen wie im oben beschriebenen Fall verhalten soll sowie mehr über die Rechte der Interesenvertretungen bzw. der Arbeitnehmer können Sie u. a. bei folgenden PRAXIS - Seminaren erfahren.
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